Coface: "Die fetten Jahre sind für uns in Westeuropa vorbei"
Die Kreditversicherer sehen sich derzeit mit einer Vielzahl von Krisen konfrontiert. Wie Coface Deutschland damit umgeht, skizzieren Claudia Haas, Chief Market Officer für die Region Nordeuropa, und Christiane von Berg, Head of Economic Research BeNeLux & DACH im Exklusiv-Gespräch mit VWheute.
VWheute: Wie ist das Jahr 2023 bislang aus Sicht von Coface verlaufen und wie bewerten Sie aktuell die Marktsituation für die Kreditversicherer?
Claudia Haas: Unser Jubiläumsjahr 2023 ist für uns bisher sehr gut verlaufen. Zwar läuft das Neugeschäft in der Kreditversicherung eher verhalten, was auch die allgemeine Unsicherheit widerspiegelt. Aber unsere Kunden sind uns sehr treu, weshalb unsere Retention auf Rekordniveau liegt. Obwohl wir einen spürbaren Anstieg von Nichtzahlungsmeldungen und auch einige Großinsolvenzen erleben, würde ich die Gesamtlage noch als ruhig bezeichnen. Ob wir uns aktuell in einer "Ruhe vor dem Sturm"-Phase befinden, lässt sich noch nicht sagen. Zu sehr wurde auch unsere Industrie in den vergangenen Jahren von der tatsächlichen Entwicklung überrascht.
Christiane von Berg: Ja, dieses Überraschungspotenzial kann ich von meiner Seite nur bestätigen. Zum Jahresanfang war die Erleichterung groß, dass die deutsche Wirtschaft die Energiekrise recht gut umschifft hat. Dann wurde allerdings recht bald klar, dass sich die Inflation dennoch auf hohem Niveau einpendeln würde und daher die Nachfrage in Deutschland und Westeuropa weiterhin verhalten ausfällt. Zudem lief das Geschäft mit China nicht wie erwartet an. Das alles führt dazu, dass die deutsche Wirtschaft sehr kraftlos fast schon dahindümpelt.
VWheute: Ein volatiles wirtschaftliches Umfeld ist dem Geschäftsmodell der Kreditversicherer ja nicht unbedingt abträglich, oder?
Claudia Haas: Die anhaltende Unsicherheit, die teilweise ganze Branchen in ihrer Entwicklung betrifft, ist für uns Kreditversicherer zumindest eine klare Bestätigung unseres Geschäftsmodells, das stimmt. Nie war es wichtiger, einen starken Partner an der Seite zu haben, der nicht nur für die Begleitung bestehender Kundenbeziehungen ins Risiko steht, sondern gleichzeitig als Partner mit in neue Risiken geht. Da wir einen sehr ausgeprägten globalen Footprint haben, sind selbst die neuen Regionen unserer Kunden für uns meist schon bekannte Märkte, auf denen wir über viele Informationen und vor allem Zahlungserfahrungen verfügen.
VWheute: Der Zukunfts- und Trendforscher Tristan Horx sprach auf dem jüngsten Coface Kongress von einer "Omnikrise". Inwieweit teilen Sie seine Aussagen?
Claudia Haas: Nicht nur als Kreditversicherungsexpertin teile ich diese Aussage. Auch als Privatpersonen sind wir doch fast täglich mit einer großen Zahl bekannten und dazu einigen neuen Krisen konfrontiert. Mit unseren beiden Söhnen im Teenager-Alter sprechen wir oft darüber, denn auch die junge Generation spürt die Belastung durch mehrfache Krisen und hat einige Zukunftssorgen. Auch für unsere Industrie ergeben sich große Herausforderungen. Zwar sind wir Risikomanager und leben davon, Risiken abzuschätzen und diese mit Ruhe und Übersicht zu managen. Aber die Unübersichtlichkeit der letzten Jahre nimmt schon merklich zu.
Wir sollten trotzdem nicht ängstlich sein. Tristan Horx erklärte auf unserem Kongress, dass wir uns aktuell in einer jener Umbruchphasen befinden, die es in der Vergangenheit unserer Erde immer wieder gegeben hat. Er malte dann ein durchaus positives Bild, gerade was Energie angeht. Ob wir tatsächlich in einigen Jahrzehnten eine kostenfreie und umweltfreundliche Energieversorgung als normal erachten, kann ich zwar nicht final beurteilen. Aber es ist zumindest eine etwas andere Sichtweise auf die Zukunft unseres Planeten.
Christiane von Berg: Die Anzahl der parallel laufenden Krisen ist aktuell tatsächlich enorm, wobei dies ein Zustand ist, der schon einige Jahre besteht und an den sich die Wirtschaftssubjekte immer mehr gewöhnt haben. Dadurch hat sich auch ein Lernprozess ergeben. Erst ist die Panik groß und dann merkt man, dass die Menschen bisher immer wieder einen Weg gefunden haben, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Dies zeigt sich besonders gut an der Pandemie oder der Energiekrise. Zuerst gingen die Wirtschaftsprognosen in Negativbereiche, die man zuvor noch nie gesehen hatte und dann ist es, auch mit Hilfe der staatlichen Stützungsmaßnahmen, bei weitem nicht so schlimm gekommen. Wir lernen also bei diesen Krisen, mit dem erhöhten Stressniveau umzugehen und das Beste daraus zu machen.
"Die fetten Jahre sind für uns in Westeuropa vorbei. Wir müssen uns künftig auf deutlich geringere Wachstumsraten einstellen. Das liegt auch am Fachkräftemangel, denn unsere Wirtschaft ist auf mehr Jobs aufgebaut, als es Personen gibt, die diese überhaupt machen können. Wir leben zudem sehr stark vom Export."
Christiane von Berg, Head of Economic Research BeNeLux & DACH bei Coface
VWheute: Wie bewerten Sie aktuelle Entwicklung zu den Unternehmensinsolvenzen? Was ist aus Sicht von Coface für 2023 zu erwarten?
Christiane von Berg: Nun, viele Zahlen zu den Insolvenzen in Deutschland im aktuellen Jahr haben wir noch gar nicht, aber sie spiegeln eben diesen Punkt wider. Nämlich dass sich die Wirtschaft anpasst. Die Anzahl der Insolvenzen steigt und liegt oberhalb des Niveaus von 2022 und 2021. Aber das Vor-Pandemie-Niveau ist noch in weiter Ferne. Bei diesen Zahlen muss man allerdings auch aufpassen. Sie beziehen sich auf die Gesamtwirtschaft, aber einzelne Branchen wie z. B. Chemie, Informations- und Telekommunikationstechnologie sowie Bau und Einzelhandel verzeichnen deutliche Anstiege bei den Insolvenzzahlen.
Auch beim entstandenen Schaden aus diesen Insolvenzen wird es eng. Von Januar bis März wurde bereits ein Schaden von 6,7 Mrd. Euro aus den Insolvenzen festgestellt. Das entspricht einem Anstieg von fast 80% im Verhältnis zum letzten Jahr. Es zeigt sich also, dass es gar nicht so viele Insolvenzen sind, dafür sind sie jedoch größer. Und dieser Trend dürfte sich im Jahresverlauf noch weiter verstärken.
Coface Deutschland feiert 100- jähriges Jubiläum |
Der Kreditversicherer begeht im Jahr 2023 sein 100. Jubiläum. Gegründet wurde Coface Deutschland am 19. März 1923 als "Rheinische Garantiebank, Kautionsversicherungs A.G.". Initiiert wurde die Gründung vom Bankier Isaak Fulda, der zu diesem Zeitpunkt die älteste Privatbank in Mainz betrieb. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste er sich jedoch 1936 aus dem Aufsichtsrat der Rheinischen Garantiebank zurückziehen und emigrierte nach Amsterdam. Als die deutsche Wehrmacht jedoch 1940 die Niederlande besetzten, wurden Fulda und seine Familie vom Durchgangslager Westerbork ins Vernichtungslager Sobibor im Osten des besetzten Polen deportiert. Dort wurden sie unmittelbar nach Ankunft vergast. Ein Jahr zuvor waren Sohn Ernst und Enkelin Jenny Erika in Auschwitz ermordet worden. Zudem musste der Kreditversicherer seinen Geschäftsbetrieb kriegsbedingt einstellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) profitierte das Versicherungsunternehmen vom raschen wirtschaftlichen Aufschwung und war schon bald im gesamten Bundesgebiet sowie in West-Berlin aktiv. In den 1960er-Jahren wurde es in "Allgemeine Kreditversicherung" umfirmiert. Die Aktienmehrheit lag in dieser Zeit bei der Munich Re sowie bei der Aggrippina. 1995 zog der Kreditversicherer schließlich an seinen heutigen Standort auf dem Mainzer Kisselberg - mit der Postanschrift Isaak-Fulda-Allee 1. In der Folgezeit übernahm die Rewe-Zentralfinanz die Aktienmehrheit an der Allgemeinen Kreditversicherung - zunächst 75 Prozent und schließlich 87,5 Prozent. Nach 1996 wurden die Anteile jedoch stückweise verkauft, 2002 übernahm schließlich die Coface S.A. in Paris nach und nach sämtliche Aktien. In der Folgezeit kam es daher zu weiteren Umfirmierungen - von der Coface Holding AG (2006), Coface Deutschland AG (2008), Coface, Niederlassung in Deutschland (2012). Überregional bekannt wurde Coface " vollständig "Compagnie française d’assurance pour le commerce extérieur" ("Französische Versicherungsgesellschaft für Außenhandel"), aber erst 2007 mit dem Einstieg als Co-Sponsor beim heutigen Fußball-Bundesligisten 1. FSV Mainz 05. 2011 übernahm der Kreditversicherer zudem die Namensrechte der neuen Arena am Stadtrand der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. 2015 wurde der Vertrag allerdings nicht weiter verlängert. Nach Angaben der Mainzer Allgemeinen Zeitung soll Coface rund 1,8 Mio. Euro jährlich dafür bezahlt haben. |
VWheute: Coface Deutschland wird in diesem Jahr 100 Jahre, das Unternehmen wurde im März 1923 vom Mainzer Bankier Isaac Fulda als "Rheinische Garantiebank Kautionsversicherungs-AG" gegründet: Wie hat sich die Marktlage der Kreditversicherer in dieser Zeit entwickelt - insbesondere für Coface?
Claudia Haas: Selbstverständlich feiern dieses Jubiläum gebührend. Wir sind sehr stolz auf unsere Geschichte. Wir haben uns ja quasi vom Mainzer Start-up zum Global Player entwickelt. Dabei hat die Kautionsversicherung heute nur noch in Teilen mit unseren vielfältigen Absicherungskonzepten zu tun. Für mich ist die Entwicklung und Verbreitung der Kreditversicherung eng verbunden mit dem Siegeszug von Unternehmern, die mit globalem Handel Kunden auf der ganzen Welt mit Waren und Dienstleistungen versorgt haben, ohne dabei zu komplexe Absicherungssysteme zu nutzen.
Die Kreditversicherung hat die Risikominimierung beim Warenaustausch ermöglicht, wenn zum Beispiel deutsche Unternehmer ihre Waren und Dienstleistungen auf Ziel auch an solche Abnehmer im Ausland gesendet haben, die sie nicht kannten oder deren Bonität sie noch nicht einschätzen konnten. So konnten deutsche Lieferanten mutig in immer neue Exportmärkte gehen, was wiederum dazu führte, dass auch andere Volkswirtschaften sich entwickeln und einen friedlichen Welthandel aufbauen konnten. Aus meiner Sicht hat die Warenkreditversicherung damit eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion erfüllt und geholfen, Wohlstand in viele Länder dieser Erde zu bringen.
Christiane von Berg: Interessant finde ich persönlich die unerwarteten Parallelen zwischen 1923 und 2023. Beides waren herausfordernde Zeiten, in denen man gerade eine globale Pandemie hinter sich gebracht hat. Beide Jahre waren von einer hohen Inflation geprägt, auch wenn wir aktuell Gott sei Dank weit entfernt von einer Hyperinflation sind. Und auch das politische System wurde fragiler mit dem Aufkommen neuer Parteien am konservativen und rechten Rand. Es zeigt sich also, dass es nicht nur Revivals in der Mode oder im Fernsehen gibt, sondern auch in der Wirtschaft und der Politik.
VWheute: Welche Rolle spielt der Standort Mainz für Coface?
Claudia Haas: (lacht) Für mich persönlich eine sehr große, da ich nur drei Kilometer vom Coface-Sitz in Mainz lebe. Mainz ist Hauptsitz der für Coface sehr bedeutenden Nordeuropa-Region. Dazu ist Deutschland für Coface weltweit das umsatzstärkste Land. Wir waren immer eng mit der Stadt und der Region verwurzelt, viele unserer Mitarbeitenden kommen aus der Region oder sind wegen Coface hier sesshaft geworden.
Auch als Global Player haben wir immer Kontakt zu den Verbänden, der IHK und anderen regionalen Institutionen gesucht. Als erster Namensgeber des neuen Bundesligastadions von Mainz 05, der Coface-Arena, sind wir 2011 einem breiteren Mainzer Publikum bekannt geworden. Auch wenn viele damals gerätselt haben, was "Kofatsche" oder "Kofäis" eigentlich macht. Wir haben uns vorgenommen, uns regional noch stärker zu vernetzen, zum Beispiel mit den Universitäten und Hochschulen im Umkreis. Das wird im Hinblick auf die Akquise hochqualifizierter Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter wichtig werden.
Christiane von Berg: Aus Konjunktursicht hat Mainz, abgesehen von einer guten Lage im Rhein-Main-Gebiet, keinen besonderen Vorteil gegenüber anderen größeren Städten in Deutschland. Dennoch bin ich persönlich nach einigen Jahren in anderen Städten wieder in meine derzeitige Wahlheimat Mainz gezogen, da ich meine besten Leistungen abliefere, wenn ich sein kann, wie ich bin. Diese Akzeptanz, auch mal andere Wege zu gehen, kenne ich in Deutschland eigentlich nur aus dem verlängerten Rheinland. Daher macht es sehr viel Spaß, hier zu arbeiten und zu leben.
VWheute: Kurzer Blick in die Zukunft: Welche ökonomischen Trends erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Christiane von Berg: Ich denke, es wurde bereits in den letzten Jahren deutlich: Die fetten Jahre sind für uns in Westeuropa vorbei. Wir müssen uns künftig auf deutlich geringere Wachstumsraten einstellen. Das liegt auch am Fachkräftemangel, denn unsere Wirtschaft ist auf mehr Jobs aufgebaut, als es Personen gibt, die diese überhaupt machen können. Wir leben zudem sehr stark vom Export. Natürlich werden deutsche Produkte auch weiterhin gefragt sein. Aber wenn wir uns den Handel mit China anschauen, dann hat das Land in der Pandemie zunehmend eine eigene Versorgung bei ähnlich guter Qualität aufgebaut.
Deutsche oder westliche Produkte sind nur dann noch besonders gefragt, wenn es keine heimische Alternative gibt oder ein spezielles Marken- oder Luxusprodukt ist. Der Klimawandel und seine Folgen verursachen wiederum erhebliche Kosten, die ebenfalls gestemmt werden müssen. Insoweit sind wirtschaftlich große Sprünge derzeit unwahrscheinlich, es sei denn, es gibt große, massentaugliche technische Fortschritte wie beispielsweise im KI-Bereich.
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