"Versicherer müssen ihre Vermittler besser behandeln"
Seit der Finanz- und Bankenkrise tobt die Debatte um Provisionsverbote in der Assekuranz. Nun kehrt für die kommenden drei Jahre etwas Ruhe ein. Diese Zeit räumte die EU dem Versicherungsvertrieb ein, um sich zu bewähren. BVK-Präsident Michael H. Heinz, der an vorderster Front gegen die Pläne der EU-Kommissarin Mairead McGuinness kämpfte, spricht im Interview über Missverständnisse, politische Schützenhilfe und fragwürdige Meinungen.
VWheute: Die EU-Kommission hat sich vorerst von einem Provisionsverbot verabschiedet, will aber schärfere Regeln im Vertrieb durchsetzen. Wie bewerten Sie die ganze Diskussion zu diesem Thema?
Michael H. Heinz: Die Debatte um die Provisionsverbote begleitet uns mehr oder weniger stark, mindestens seit der Finanz- und Bankenkrise im Jahr 2008. Diese wurde durch komplizierte Finanzkonstrukte und das Platzen der US-Immobilienblase hervorgerufen, wodurch weltweit Millionen Anleger ihre Vermögen verloren und viele auch ihren Job.
Aber wir Vermittler und die Versicherungsbranche waren nicht Ursprung und Ursache, und trotzdem haben sich in der Folgezeit selbsternannte Verbraucherschützer und ihre politischen Nachbeter die Kampfparole "Abschaffung der Provisionsvergütung" auf ihre Fahnen geschrieben und versuchen dies auf allen erdenklichen Ebenen und Gelegenheiten durchzusetzen. Wir finden das unsäglich, unangemessen und ordnungspolitisch fragwürdig. Die Gegner der Provisionsvergütung sind unserer Meinung nach nicht lernfähig.
Denn nach der besagten Finanzkrise gab es unzählige regulatorische Verschärfungen bei der Versicherungsvermittlung, die den Verbraucherschutz stärkten. Denken Sie etwa an die Weiterbildungspflicht, das Lebensversicherungsreformgesetz, die Finanzmarktrichtlinie und die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD. Letztere verpflichtet uns in ihrer Umsetzung ins deutsche Recht im bestmöglichen Kundeninteresse zu beraten und zu vermitteln. Auch setzt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit dem vorgelegten "Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten" ein deutliches Signal, Provisionsexzesse zu unterbinden. Dies begrüßt der BVK ausdrücklich.
Die Diskussion um Provisionsverbote ist auch überflüssig, weil es bereits in Deutschland die Möglichkeit gibt, sich gegen Honorar beraten zu lassen. Wir vom Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) treten für diese Wahlfreiheit zwischen einer Vermittlung auf Provisionsbasis und einer Honorarvergütung ein. Denn die Kunden sollten selbst nach eigenem Gusto entscheiden können, wie sie zu einem angemessenen Versicherungsschutz kommen, und die Politik sollte hier nicht verbietend eingreifen.
Diese ganze neu auflebende Diskussion um Provisionsverbote im Rahmen der EU-Kleinanlegerstrategie ist also völlig unnötig und wir fragen uns schon, warum man uns Versicherungs- und Finanzvermittlern die Existenzgrundlage entziehen will. Dies hat nur ideologische, nicht sachbezogene Gründe. Der BVK wird jedenfalls alle Ansinnen ein Provisionsverbot einzuführen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln abwehren.
VWheute: Die Uni Regensburg hatte jüngst vorgerechnet, dass das Nein zum Provisionsverbot in Deutschland zu einem jährlichen Schaden von 98 Milliarden Euro führen würde. Können Sie diese Rechnung nachvollziehen?
Michael H. Heinz: Nein, das können wir nicht. Zu den Studienergebnissen von Prof. Dr. Steffen Sebastian gibt es bereits kritische Anmerkungen, die die Methodik der Studie kritisieren. Insbesondere wird moniert, dass die Auswahl der Einflussfaktoren auf die Rendite in den unterschiedlichen OECD-Ländern etwas willkürlich vorgenommen wurde.
Variablen wie die unterschiedliche Sozial- und Steuergesetzgebung, die Gestaltung der betrieblichen Altersvorsorge, staatliche Förderanreize und Zugänglichkeit von Assetklassen für Privatkunden sowie kulturelle und soziale Unterschiede könnten ebenfalls relevante Größen für die Vermögensbildung der einzelnen Länder sein. Ob hier also die Art der Vergütung ausschlaggebend ist, lässt sich hinterfragen.
Der BVK stellt hingegen fest, dass sich in Deutschland das Provisionssystem seit Jahrzehnten bewährt und dazu führt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ein Privatvermögen von stolzen 7,5 Billionen Euro (2022) erzielen konnten. Das ist auch im internationalen Vergleich beeindruckend.
Das Provisionssystem führte also mitnichten zu Wohlstandsverlusten, im Gegenteil. Es hat auch eine wichtige soziale Komponente, denn Geringverdiener können eine kostenlose Beratung in Anspruch nehmen und sich über Absicherungsmöglichkeiten informieren, ohne gleich ein dreistelliges Beratungshonorar auf den Tisch blättern zu müssen. Daran ist auch bisher die Einführung einer flächendeckenden Honorarberatung gescheitert und wird auch weiterhin von der breiten Masse der Kunden in Deutschland nicht angenommen.
VWheute: Kurzer Blick ins politische Berlin: Die Ampelkoalition ist seit rund zwei Jahren im Amt. Wie sieht aus Ihrer Sicht die politische Bilanz der Koalition aus und welche Forderungen haben Sie an die aktuelle Regierung?
Michael H. Heinz: Das Erscheinungsbild der Ampelkoalition ist bei verschiedenen Themen nach unserem Dafürhalten geprägt von Zänkereien, gegenseitigen Vorwürfen, insbesondere zwischen der FDP und den Grünen. So gibt die Bundesregierung trotz redlicher Bemühungen um Einigkeit eine Vorstellung ständigen Austarierens von schwer erkämpften Kompromissen am Abgrund eines Zerwürfnisses ab. Da nützt auch nicht das zugegebenermaßen respektable Krisenmanagement bei der Gas- und Energiemangellage im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine kurz nach der Regierungsbildung.
Wir setzen trotz der politischen Querelen auf den wirtschaftlichen Sachverstand, insbesondere in der FDP und trafen im Hinblick auf die EU-Debatte um Provisionsverbote auf offene Ohren im Bundesfinanzministerium, was uns sehr freute.
Wir würden uns auch sehr freuen, wenn die eingesetzte Fokusgruppe private Altersvorsorge unsere Vorschläge zur Reform der Riester-Rente aufgreifen würde und diese entbürokratisieren, entschlacken und den Adressatenkreis um die Gruppe der Selbstständigen erweitern könnte.
VWheute: ChatGPT ist derzeit auch in der Branche ein großes Thema. Wie bewerten Sie die Entwicklung? Könnte die Technologie einen Vermittler langfristig gar ersetzen?
Michael H. Heinz: ChatGPT ist eine Anwendung der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI), die mithilfe von unzähligen Trainingsdaten wahrscheinliche Antworten auf der Basis von Algorithmen generiert, die der menschlichen Kommunikation nachempfunden sind. Gerade das macht sie gegenüber den Antworten von Suchmaschinen so attraktiv.
Aber wir glauben nicht, dass man damit die viel komplexere menschliche Kommunikation ersetzen wird, die ja viel mehr ist, als nur sachbezogene Antworten auf eingegrenzten Fragen. Denken Sie nur mal an die wichtige emotionale Ebene, an die Bildung von Vertrauen zwischen dem/der Kunden/in und dem Versicherungsvermittler und die unkomplizierte Art des Rückfragens in einem persönlichen Beratungsgespräch, ohne dass es einer Computer-Bedienung bedarf.
Wir beobachten die Entwicklung der KI und schätzen sie noch nicht als unmittelbare Bedrohung für den Berufsstand der Versicherungsvermittler ein. Allerdings werden KI-Anwendungen zukünftig in der Schadenregulierung und der Beantwortung von einfachen Kundenanfragen eine größere Rolle bei den Unternehmen spielen. Damit könnten personelle Freisetzungen in den Schadensabteilungen verbunden sein.
VWheute: Die Vermittlerschaft leidet weiterhin unter altbekannten Problemen wie Überalterung oder Nachwuchsmangel. Was müsste passieren, damit diese Probleme endlich gelöst werden?
Michael H. Heinz: Vorrangig müsste die Regulierungsschraube gelockert und damit jungen Vermittlerinnen und Vermittlern signalisiert werden, dass ihre Berufsausübung anerkannt, wichtig und akzeptiert ist. Stattdessen wird immer noch mehr draufgepackt, was die Motivation überhaupt nicht fördert, Versicherungsvermittler zu werden.
Um dem etwas entgegenzuwirken, und jungen Vermittlerinnen und Vermittlern eine Heimat zu bieten, initiierte der BVK vor ein paar Jahren das Projekt "BVK-Junioren". Diese BVK-Unterorganisation trifft sich in regelmäßigen Abständen und bietet jungen Vermittlerinnen und Vermittlern ein Forum, auf dem sie sich einbringen können und den Verband mit frischen Ideen und Initiativen versorgen. Außerdem können die BVK-Junioren Kontakt zu potenziellen Nachfolgern aufbauen, einen Erfahrungsaustausch & Networking mit den "alten Hasen" durchführen und sich auch persönlich weiterentwickeln.
Zusätzlich führt der BVK schon seit 2009 alljährlich ein Rating von Unternehmen durch. Mit diesem können Versicherer dokumentieren, wie vermittlerfreundlich und attraktiv sie auch für den Nachwuchs sind. Das BVK-Rating untersucht die Qualität des Versicherers in den fünf Dimensionen "Vertriebspolitik", "Provisionen und Gegenleistungen", "Vermittlerunterstützung und -betreuung", "Innendienstunterstützung" sowie "Kundenorientierung", wobei der Schwerpunkt auf den ersten drei Dimensionen liegt. Eine Vielzahl von Versicherern hat in den vergangenen Jahren das mandatierte Rating-Verfahren durchlaufen.
Darüber hinaus schuf der BVK vor über einer Dekade ein neues Berufsbild für Vermittler, das die Berufsausübung an Prinzipien der kaufmännischen Unabhängigkeit als Unternehmer, an Fairness, Qualifizierung und Ehrbarkeit ausrichtet. Damit signalisieren wir dem Nachwuchs, dass der Beruf des Versicherungsvermittlers großes Potenzial für die unternehmerische Entwicklung bietet. Die BVK-Compliance-Regeln komplettieren unsere Aktivitäten, dem Berufsstand zu der Anerkennung und Achtung zu verhelfen, die ihm und seiner sozial- und gesellschaftspolitischen Bedeutung für die Absicherung des Alters und der Lebensrisiken zukommt.
Letztlich sehen wir jedoch gerade die Versicherer in der Pflicht, attraktive Rahmenbedingungen für den Berufsstand zu schaffen. Bekenntnisse zum persönlichen Vertrieb dürfen keine Lippenbekenntnisse sein. Aus diesem Grund kämpft der BVK seit Jahren mit "Kein Vertrieb ohne Beratung", gegen digitale Vertriebsambitionen der Versicherer, die auf einem Beratungsverzicht der Kunden basieren.
Weitere Informationen