"Hohe Inflation konterkariert die Sparanstrengungen"
Im September 2022 wurde Laura Müller in den Vorstand der Debeka berufen. Im exklusiven Interview mit VWheute sprach die 36-jährige Nachfolgerin von Roland Weber über den Generationswechsel im Führungsgremium des Koblenzer Versicherers, die Zukunft der Lebensversicherung und warum für sie ein Run-off nicht zur Debatte stehe.
VWheute: Zunächst eine persönliche Frage: Sie sind mit 36 Jahren eine der jüngsten Vorstandsmanagerinnen in Deutschland. Was bedeutet dieser Umstand für Ihre künftige Arbeit, schließlich steht man in diesem Fall besonders unter Beobachtung?
Laura Müller: Zunächst einmal: Ja, ich bin 36 Jahre jung und verjünge dadurch unseren Vorstand bei der Debeka. Es mag sein, dass dieser Umstand den ein oder anderen dazu bewegt, mich genauer unter die Lupe nehmen zu müssen. Aber so wie ich es erlebe und auch in meinen vergangenen Rollen erlebt habe, hat das Alter dabei nie eine Rolle gespielt, denn die Zeiten, dass jemand befördert wird, nur weil er lang genug im Unternehmen tätig ist, sind zum Glück vorbei.
Generell steht man natürlich in jeder neuen Rolle in der ersten Zeit unter besonderer Beobachtung und muss sich erst einmal beweisen – und das unabhängig vom Alter. Der Kreis der Beobachter ändert sich natürlich in Abhängigkeit von der jeweiligen Verantwortung. 2014, als ich die Gruppe der Mathematiker in der Lebensversicherung übernommen habe, war dieser Kreis zum Beispiel noch relativ klein und wuchs dann mit Zunahme meiner Verantwortlichkeiten.
Dadurch habe ich Schritt für Schritt lernen können, damit umzugehen. Außerdem ist man auf dem Weg ja nie alleine unterwegs und so hatte und habe ich auch immer Weggefährten, die mich unterstützen und begleiten.
Zum Thema "Alter" möchte ich noch ergänzen, dass ich bisher immer sehr gute Erfahrung damit gemacht habe, wenn Teams gemischt aufgestellt sind und hierbei nicht nur auf das wichtige, ausgewogene Geschlechterverhältnis geachtet wird, sondern eben auch Diversität im Hinblick auf das Alter.
VWheute: Sie folgen in dieser Position auf Roland Weber: Wie groß sind die Fußstapfen
in die Sie treten werden?
Laura Müller: Roland Weber war 20 Jahre bei der Debeka und hat in dieser Zeit jede Menge bewegt und sich vor allem im Bereich der privaten Krankenversicherung engagiert. Ich habe Roland Weber immer sehr geschätzt und vieles von ihm lernen können. Aber letztendlich „bin ich ich“ und werde meine eigenen Wege gehen und meine eigenen Erfahrungen machen. Denn das wichtigste bei allem ist, sich selbst treu zu bleiben und sich nicht zu verstellen. Denn nur so kann man auch das vertreten, wofür man steht.
VWheute: In Ihrer neuen Funktion werden Sie vor allem für die Lebensversicherung und die Pensionskasse zuständig sein. Wie bewerten Sie aktuell die Situation auf dem LV-Markt und welche Perspektiven sehen Sie?
Laura Müller: Vor dem Hintergrund steigender Zinsen und hoher Inflation ist und bleibt die private und betriebliche Altersvorsorge unerlässlich für ein auskömmliches Einkommen im Alter. Und auch wenn die Zinsen in letzter Zeit gestiegen sind, wird der Trend zu kapitalmarktnahen, chancenorientierten Rententarifen mit erhöhten Renditechancen ungebrochen sein. Eine Rückkehr hin zu den klassischen Produkten sehen wir nicht als zielführend, da es hier einfach zu wenig Freiheitsgrade in der Kapitalanlage gibt.
Die vor Jahren eingeleitete Abkehr von Garantieprodukten klassischer Prägung wird sich weiter fortsetzen und ist der einzig richtige Weg, um effiziente Altersvorsorge zu betreiben. Die Debeka wird den mit der Einführung der Tarife mit Fondskomponenten eingeleiteten Weg in der privaten Altersvorsorge konsequent weitergehen und ab dem kommenden Jahr auch in der betrieblichen Altersvorsorge-Tarife mit Fondskomponenten anbieten.
Der Megatrend "Nachhaltigkeit" wird den Lebensversicherungsmarkt in den kommenden Jahren dominieren und weiter an Bedeutung gewinnen - und zwar nicht nur in Bezug auf die Kapitalanlagen, sondern auch hinsichtlich der Produktentwicklung. Mit unserem Debeka-eigenen, mit Nachhaltigkeitskriterien gemanagten internen Fonds "Debeka Global Shares" ist die Debeka sehr gut aufgestellt und vorbereitet für die Zukunft.
VWheute: Das Thema Run-off ist derzeit wieder ein großes Thema: Wie stehen Sie zu
einem Verkauf von Lebensbeständen?
Laura Müller: Nach Jahren der vermeintlichen Ruhe ist in letzter Zeit wieder Bewegung in den "Run-off-Markt" gekommen. Offenbar prüfen auch weitere Unternehmen einen solchen Schritt zum externen Run-off. Gründe hierfür sind unter anderem die Angst vor hohen Umstrukturierungs- und Modernisierungskosten der IT-Altsysteme, wenn sie die Altbestände mit hohen Garantien weiterhin selbst verwalten müssen.
Wir sind derzeit dabei, unsere Bestände auf neue Bestandsführungssysteme zu migrieren, um noch effizienter zu werden. Wir setzen hierbei mittlerweile auf Standardsoftware. Der Verkauf von Lebensversicherungsbeständen an externe Abwicklungsplattformen steht für die Debeka nicht zur Debatte. Dies würde auch unserer genossenschaftlich geprägten Unternehmensphilosophie als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit widersprechen.
Das von unseren Mitgliedern und Kunden entgegengebrachte Vertrauen ist die Grundlage unseres Erfolgs: Wir stehen also ohne Wenn und Aber zu unseren Verpflichtungen. Die über die Jahre aufbaute Zinszusatzreserve in Höhe von fast sieben Mrd. Euro (Stand Ende 2021) zur Stützung der gegebenen Garantien ist ein weiterer Beleg dafür.
VWheute: Die Notenbanken haben jüngst die Leitzinsen deutlich erhöht: Eigentlich müssten die Lebensversicherer positiv darauf reagieren? Wie bewerten Sie diesen Schritt und welche unmittelbaren Folgen erwarten Sie dadurch für die Branche?
Laura Müller: Zum ersten Mal seit Langem wurden die Leitzinsen erhöht. Das sehen wir natürlich als sehr positiv. Ein Effekt ist zum Beispiel die Verbesserung der Solvenz-Situation für die Lebensversicherer. Ein anderer, dass der Aufbau der Zinszusatzreserve aktuell nicht erforderlich ist und somit eine Entlastung für den Bestand eintritt. Durch die höheren Zinsen ist für die Lebensversicherer auch die Neuanlage wieder attraktiver geworden.
Eine Herausforderung ist dabei jedoch die Überschussbeteiligung und die Erwartungshaltung der Kunden, denn eins ist klar: Die Überschussbeteiligung der Verträge wird nicht von jetzt auf gleich so stark ansteigen, wie sich die Kunden das vielleicht wünschen, da wir langlaufende Kapitalanlagen haben und es einige Zeit dauert, bis die Kapitalanlagen so weit umgeschichtet sind, dass es auch in der Überschussbeteiligung deutlich zu spüren ist.
Eine deutliche Erhöhung der Deklaration zulasten der RfB ist für uns nicht nachhaltig, da dies eine Wette auf weiterhin hohe Zinsen wäre und wer weiß heute schon, wann wir nicht doch wieder mit einem Zinswechsel rechnen müssen.
"Die vor Jahren eingeleitete Abkehr von Garantieprodukten klassischer Prägung wird sich weiter fortsetzen und ist der einzig richtige Weg, um effiziente Altersvorsorge zu betreiben."
Laura Müller, Vorständin der Debeka
VWheute: Zudem belastet die Inflation derzeit massiv die Wirtschaft und Privathaushalte. Welche Folgen hat dies aus Ihrer Sicht für die Versicherer und die Altersvorsorge?
Laura Müller: Die hohe Inflation konterkariert die Sparanstrengungen der Verbraucher, weil sie die finanziellen Spielräume deutlich einengt. Wir bieten mit unseren Tarifen verschiedene Möglichkeiten an, um einen kurzfristigen Geldbedarf zu decken, ohne den Vertrag direkt zu kündigen. Zum Beispiel könnten unsere Mitglieder Gebrauch von Beitragsfreistellung, Policendarlehen und Teilkündigung machen. Eine radikale Änderung im Sparverhalten unserer Mitglieder und Kunden haben wir allerdings bisher nicht festgestellt.
Die Menschen wissen, dass am Aufbau einer bedarfsgerechten, privaten Altersvorsorge kein Weg vorbeiführt. Was man möglicherweise am Markt beobachten wird, ist, dass klassische Rentenversicherungsverträge mit geringen Rechnungszinsen, die gegen Einmalbeitrag abgeschlossenen wurden, eher gekündigt werden, wenn höhere Zinsen für andere Anlageformen geboten werden oder Geldbedarf besteht. Dies würde dann bei den Versicherern zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf führen, welcher unter Umständen den Verkauf von Kapitalanlagen mit Lasten erzwingt. Da das klassische Einmalbeitragsgeschäft bei uns aber immer eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat, sind wir hiervon weniger betroffen.
VWheute: Die Debeka will ab dem kommenden Jahr über angestellte Außendienstmitarbeiter betriebliche Krankenversicherung, betriebliche Altersversorgung und Gewerbepolicen verkaufen. Welche strategischen Ziele stecken dahinter?
Laura Müller: Die betriebliche Vorsorge eröffnet immense Wachstums- und Geschäftspotenziale für die Zukunft. Daran wollen wir als Debeka aufgrund unserer hervorragenden Produkte auch entsprechend partizipieren. Wir haben bisher auch schon in der betrieblichen Krankenversicherung, der betrieblichen Altersversorgung und der Gewerbeversicherung Produkte angeboten. Durch die Spezialisierung unseres Außendienstes und die Bündelung der betrieblichen Vorsorge sehen wir ein enormes Potenzial, um den Bedürfnissen noch gerechter zu werden.
VWheute: Zudem soll das Geschäft in der Kompositsparte ausgebaut werden, um weniger von politischen Entscheidungen in der Kranken- und Lebensversicherung abhängig zu sein. Welche Ziele stecken konkret dahinter und wie stark sehen Sie derzeit den Einfluss der Politik auf die Lebensversicherung?
Laura Müller: Das Potenzial zum Ausbau der Komposit-Sparte ist enorm. Nur zum Vergleich: Wir haben in der Komposit-Sparte Beitragseinnahmen in Höhe von einer Mrd. Euro. In der Krankenversicherung sind die Beitragseinnahmen siebeneinhalbmal so groß. Dazu ist zu sagen, dass der Geschäftsausbau in der Komposit-Versicherung nicht nur mit den politischen Rahmenbedingungen zusammenhängt, sondern auch mit der geringeren Zinssensitivität der Sachversicherung im Vergleich zur Kranken- und Lebensversicherung.
Aber Fakt ist, dass durch den Einfluss von Berlin und Brüssel der Effekt auf die Kranken- und Lebensversicherung sehr viel größer ist. Wenn ich zum Beispiel entscheiden könnte, wie die Riester-Rentenversicherung künftig aussehen soll, würde ich zuerst den Beitragserhalt streichen und die Verwaltungsaufwände, die durch die Zulagenbeantragung und -kürzung entstehen, weiter vereinfachen. Hier gibt es ja auch schon sehr gute Konzepte und Vorschläge, aber das scheint aktuell kein großes Thema in der Politik zu sein, wodurch immer weniger Versicherer überhaupt noch eine Riester-Rentenversicherung anbieten.
Auch beim Thema Provisionsdeckel in der Lebensversicherung wird sicherlich noch einiges auf uns zukommen. In der letzten Legislaturperiode ist das Thema zwar gescheitert und im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist davon nicht mehr die Rede, aber dennoch ist davon auszugehen, dass die Kostenproblematik irgendwann zurück auf die politische Agenda kommt. Zumal die Bafin des Öfteren deutlich gemacht hat, dass sie ihren Plan, die Provisionen in der Lebensversicherung in irgendeiner Form zu begrenzen, nicht aufgegeben hat und dies für unverzichtbar hält.
In der privaten Krankenversicherung fordern wir seit Jahrzehnten eine stetige Beitragsanpassungsmöglichkeit, damit die Beitragssprünge nicht so groß sind, aber auch hier zeigt sich derzeit keine Entwicklung. Und das sind ja nur drei Beispiele. Für uns ist es wichtig, unsere Mitglieder und Kunden nicht aus dem Blick zu verlieren und sie in den Mittelpunkt zu stellen. Und ob die Transparenz für den Kunden wirklich dadurch erhöht wird, dass noch mehr Informationsblätter, Kostenberechnungen und Hochrechnungen erzeugt werden, wage ich zu bezweifeln. Stattdessen ist es viel sinnvoller, säulenübergreifend eine Einheitlichkeit und Verständlichkeit zwischen den Produkten zu erzeugen.
VWheute: Kurzer Blick in die Zukunft: Was sind Ihre konkreten Vorhaben für das Jahr 2023 sowie die kommenden drei bis fünf Jahre?
Laura Müller: Das Hauptziel ist es, zukunftsfähig zu bleiben und unseren Mitgliedern und Kunden die passenden Produkte anzubieten, damit sie in diesen Krisenzeiten bestmöglich versorgt sind. Wir werden im Jahr 2023 in der betrieblichen Altersvorsorge Produkte mit Fondskomponenten einführen und die Stärkung der betrieblichen Vorsorge forcieren. Außerdem wird die Digitalisierung der Kunden- und Geschäftsprozesse und die Erneuerung der Bestandsführungssysteme im nächsten und in den kommenden Jahren eine übergeordnete Rolle spielen.
Daneben wird es unsere Aufgabe sein, die hybride Zusammenarbeit weiter zu stärken und dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Zudem planen wir den Ausbau unserer dualen Studiengänge und wollen in Kooperation mit der Hochschule Koblenz einen dualen Studiengang in Wirtschaftsmathematik anbieten, um damit mehr Mathematiker für unser Unternehmen zu gewinnen.
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